Mein Terminplan heute
Englisch für Frauen
Wäscherei
Gartenprojekt
Ich verlasse Pigi und gehe zurück in mein Hotel nach Polycastro. Mir ist aktuell nicht nach WG-Leben zumute, auch wenn es nur noch ein paar Tage bis zu meiner Abreise sind. Ich möchte abends meine Ruhe haben, für mich entscheiden, wann ich wo etwas Essen gehe und auch meine Arbeitszeiten im Camp nicht von dem WG-Auto abhängig machen.
Das hätte ich selbst nie von mir erwartet. Ich bin gern in Gesellschaft und gewöhnt, mit anderen Menschen zusammenzuwohnen, aber jetzt freue ich mich auf Ruhe am Abend. Die Tage im Camp mit den vielen Menschen und den vielen unterschiedlichen Sprachen sind immer sehr anstrengend für mich.
Im Hotel steht ein langerwartetes Paket auf mich. Ich hatte es schon einige Tage vor meiner Reise zum Camp per Post vorausgeschickt. Darin befinden sich T-Shirts und Hemden, die meinem Sohn zu klein geworden sind und damit genau die Größe haben, die hier fehlt.
Auch zwei Erste-Hilfe-Kästen hatte ich eingepackt. Und ein paar Müsliriegel. Die hat meine Tochter für mich gekauft, weil sie Angst hatte, ich könnte im Flüchtlingslager nicht genug zu essen bekommen.
Ich nehme das Paket direkt mit zum Camp, glücklich in dem Wissen, hiermit den Menschen helfen zu können.
In meinem Englisch-Kurs habe ich heute zwei neue Teilnehmerinnen. Acht Frauen sind in den Kurs Level zwei aufgestiegen.
Eine der neuen Schülerinnen hat große Probleme mit dem Unterrichtsstoff. Schon das Abschreiben oder Abmalen des Buchstaben A gelingt ihr nicht. Erst denke ich an die Folgen eines Schlaganfalls oder einer Kopfverletzung. Ich setze mich neben sie und führe ihre Hand. Zum Glück bleibt mein Verdacht unbegründet.
Wir arbeiten lange an dem ersten Buchstaben, bis das A auf der Seite liegend mit ein wenig Fantasie zu erkennen ist. Nach einer halben Stunde malt sie nicht nur das A nach, sondern probiert auch die anderen Buchstaben des Alphabets zu kopieren. Nie zuvor hat sie unsere lateinischen Buchstaben geschrieben. Diese sind ihr völlig fremd, deshalb hat sie solche Schwierigkeiten damit. Die arabische Schrift sieht ganz anders aus und außerdem wird diese von rechts nach links geschrieben.
Am Nachmittag bin ich wieder in der Wäscherei eingeteilt. Das ist immer noch einer meiner Lieblingsjobs. Hierher kommen die Menschen nicht nur, um Wäsche zu waschen, sondern oft einfach, um uns zu treffen und sich zu unterhalten. Und es geht deutlich ruhiger zu als im Drop Shop.
Ein junger Mann kommt und fragt nach einem Termin. Stolz erzählt er mir, seine drei Mitbewohner seien unterwegs und er habe die Chance genutzt, um einen Putztag einzulegen. Ich wundere mich ein bisschen darüber, dass ein Mann so viel Freude daran haben kann, sein Haus zu putzen. Später sehe ich, wie er einen langen Schlauch zusammenrollt. Ich frage mich, ob man Wohncontainer hier auf die gleiche Art und Weise reinigt, wie ich es bei den Toiletten- und Duschcontainern beobachtet habe. Die werden zumindest im Sommer täglich gründlich von oben bis unten ausgespült.
Ich bin hungrig, habe seit Stunden nichts gegessen. Ich kaufe mir bei dem von einem Flüchtling hier im Camp betriebenen kurdischen Imbiss ein paar selbstgemachte Kekse und einen Nescafé frappé. Ob es so etwas bei uns auch gibt, frage ich mich. Die Zubereitung ist einfach. Ein Löffel voll Nescafé Pulver wird mit einem drittel Becher eiskaltem Wasser verrührt und dann aufgeschäumt.
Das schmeckt erstaunlich lecker und ist bei der Hitze hier definitiv erfrischender als heißer Kaffee.
Köstliche Falafeln gibt es hier übrigens auch.
Am Abend regnet es zum ersten Mal seit Wochen. Zwei Kinder und ich machen einen Regentanz vor der Wäscherei. Später beim Gartenprojekt bestaunen mit den Kindern einen Regenbogen.
Ich liebe die Abendstimmung hier in Nea Kavala.
Möchtest du wie ein Flüchtling leben?
Wir verbringen den ganzen Tag mit den Menschen hier und lernen sie jeden Tag besser kennen. Tagsüber fühlt es sich an, als wären wir Volunteers Teil ihrer Gemeinschaft, doch an den Abenden verlassen wir das Camp, fahren zurück zu unseren Hotels. Nach wenigen Wochen nehmen wir den Bus zum Flughafen und fliegen zurück nach Hause…
Und die Flüchtlinge müssen bleiben.